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Dienstag, 27. September 2016
Mit dem Rolli durch Ulm

Vom Rollstuhl aus sieht die Welt ein wenig anders aus, merkten viele FSJlerVom Rollstuhl aus sieht die Welt ein wenig anders aus, merkten viele FSJler

Vor ein paar Wochen testeten fünfundzwanzig junge Menschen für ein paar Stunden, wie es sich anfühlt, ein Handicap zu haben. Ein Teil des zweitägigen Einweisungsdienstes für die neuen FSJler beim ASB beinhaltete diese besondere Selbsterfahrung.

Ulm ist eine sehenswerte Stadt, das wissen viele Touristen. Wie attraktiv es ist, im Rollstuhl nach Ulm zu kommen, konnten die jungen Menschen erfahren, die vier Aufgaben gestellt bekamen: Straßenbahn fahren, beim Bahnhof an Gleis 4 ankommen und danach ein Rückfahrticket lösen, Ulmer Sehenswürdigkeiten bestaunen und einen Einkaufsbummel durch verschiedene Läden machen. Eine leichte Übung, sollte man meinen. Wenn da nur nicht der Rollstuhl gewesen wäre, den die jungen Menschen dafür nutzen mussten. Mal aus eigener Kraft angetrieben, mal von einer Begleitpersonen im Team angeschoben: Beides in jedem Fall unerwartet anstrengend.
Im Rollstuhl ist vieles anders. „Es braucht so viel mehr Zeit, wenn man dauernd Umwege einplanen muss“, bemerkte eine junge Dame. Rolltreppen werden plötzlich ebenso zu unüberwindbaren Hindernissen, wie die bergige Ulmer Altstadt mit dem Kopfsteinpflaster und Cafés oder Gaststätten, die Stufen haben oder keine behinderten gerechte Toilette. Und sogar Geld abheben wird zu einem Abenteuer. „Die Automaten sind so eingestellt, dass man sitzend gar nicht auf das Display sehen kann.“ Hat man genug Geld dabei, wird das Einkaufen selbst zu einer neuen Bewährungsprobe. „Es gibt wenig Rollstuhl gerechte Kabinen. Wenn die Begleitperson mit in die Kabine muss, wird es noch schwieriger.“ Und auch ohne Kabine sind Hürden zu überwinden. „Wir haben versucht, Schuhe anzuziehen, ohne die Füße zu bewegen“, erzählt eine Gruppe und auch davon, das in vielen Regalen sitzend die meisten Waren gar nicht erreicht werden. Das Personal in den Läden verhielt sich oft hilfsbereit und kooperativ. Aber nicht immer: „Einmal wurden wir mehr oder weniger ignoriert.“
Genauso unterschiedlich war das Verhalten der Menschen, die sie trafen. „Manche fühlten sich durch den Rollstuhl behindert, der einfach viel Platz braucht.“ Beim Einstieg in die Straßenbahn fiel das besonders auf, obwohl dieser Rollstuhl gerecht ist. Eine Erfahrung, die auch die Dozenten Melanie Klein und Tanja Sommerfeld schon oft gemacht haben. „Busfahrer sind genervt, wenn sie die Rampe ausklappen müssen, da sie bei ihrem engen Zeitplan dadurch zwei Minuten verlieren“, erzählt Tanja Sommerfeld. „Bei manchen Stadtbusen gibt es gar keine Klappen und der Rollstuhlfahrer muss manchmal zwei oder drei Busse abwarten.“ Es empfiehlt sich daher, immer viel Zeit einzuplanen, wenn man kein Fußgänger ist. „Man kann auch nicht einfach mal den nächsten Zug nehmen, da man bei der Bahn Fahrten mit dem Rollstuhl anmelden muss“, bestätigt Melanie Klein.
Erstaunt waren die FSJler auch über manche Blicke der Passanten. „Echt krass, wie man angeschaut wird, wenn man im Rollstuhl sitzt. Als ob man eine ansteckende Krankheit hätte“, berichtet Jakob. Andere waren dagegen sehr hilfsbereit. Selbstreflektierend erkennen viele der jungen Menschen nach dieser eigenen Erfahrung, dass sie vorher selber oft geschaut haben, ohne es böse zu meinen, wenn sie Rollstuhlfahrern begegnet sind. „Einfach mal anlächeln und nicht nur starren“, empfiehlt Melanie Klein für zukünftige Begegnungen.
„Es hat schon auch Spaß gemacht, aber eben nur, wenn man nicht wirklich auf den Rollstuhl angewiesen ist“, meinte Ronja. Diese Erkenntnis gilt sicher für alle jungen Menschen, die das Experiment mitgemacht haben. Und eines ist sicher, sie werden für ihre Klienten, die im Rollstuhl sitzen, und auch für andere Rollstuhlfahrer zukünftig viel Verständnis aufbringen. (ela)