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Mittwoch, 22. Juni 2016
Es geht auch ohne freiheitsentziehende Maßnahmen in Heimen

Stefan Baumann (links) mit Dr. Theodor Gonser, Leiter des Fachdienstes Gesundheit beim Landratsamt Alb-Donau-Kreis, nach der FortbildungsveranstaltungStefan Baumann (links) mit Dr. Theodor Gonser, Leiter des Fachdienstes Gesundheit beim Landratsamt Alb-Donau-Kreis, nach der Fortbildungsveranstaltung

In den Ulmer Hausgemeinschaften und dem Seniorenheim Brauerviertel werden seit eineinhalb Jahren keine freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) mehr angewandt. Nicht alle Angehörigen kommen damit klar.

Mit Gürtel im Bett angeschnallte Menschen – eine Situation, die bis vor ein paar Jahren in manchen Heimen Alltag war und teilweise auch heute noch praktiziert wird. Nicht um Menschen ruhig zu stellen, sondern zu deren Schutz und auch zur Sturzprophylaxe, wenn bei Bewohnern eine Sturzneigung bekannt ist. Doch wo fängt die Selbstbestimmung an und bis zu welchem Grad ist zum Beispiel ein dementer Mensch noch dazu fähig, sein Leben selbst zu bestimmen?
„Angehörige davon zu überzeugen, freiheitsentziehende Maßnahmen zu unterlassen, ist manchmal nicht einfach“, berichtet Stefan Baumann, Hausleiter der ASB Ulmer Hausgemeinschaften und des ASB Seniorenheimes Brauerviertel. „Wir haben ja auch eine Sorgfaltspflicht, die sich mit dem Freiheitsanspruch des Einzelnen teilweise beißt.“ Trotzdem war der Entschluss schnell da. „Wir mussten im Rahmen des Qualitätsmanagements die FEM reduzieren und haben dann beschlossen, diese gleich ganz wegzulassen.“
Neuere Untersuchungen geben diesem Ansatz Recht. Denn die Risiken einer Fixierung sind ungleich höher als der Schutz, der damit erreicht wird. So liegen fixierte Menschen schneller wund, bekommen Fehlstellungen, Versteifungen, sogar Lungenentzündungen und Gefäßverstopfungen sind möglich. Bei unsachgemäßer Fixierung ist es sogar schon zu Todesfällen gekommen. „Dazu haben Menschen nach einer Fixierung ein etwa doppelt so hohes Risiko zu stürzen“, erklärt Stefan Baumann. Eigentlich leicht zu verstehen, denn das Vertrauen in das eigene Körperverständnis wird massiv gestört. Daneben sind noch psychische Probleme wie Demütigung, Hilflosigkeit, Resignation oder Verlassensängste und sogar Rachewünsche mögliche Auswirkungen einer FEM. „Gerade Personen mit großem Bewegungsdrang – zum Beispiel als Auswirkung einer Demenz – fühlen sich massiv eingeengt und werden aggressiv.“ Ein Teufelskreis kann ausgelöst werden und die Gefahrensituation und Pflegebedürftigkeit kann steigen.
Trotzdem drohten manche Angehörige zu Beginn sogar rechtliche Konsequenzen an, obwohl die Lage eindeutig ist: Eine Fixierung darf nur unter strengster Indikationsstellung erfolgen. Beim ASB wird Selbstbestimmung (zum Beispiel in der Behindertenhilfe) seit vielen Jahren besonders groß geschrieben. „Jeder hat das Recht sich frei zu bewegen und auch zu stürzen.“ Trotzdem muss alles getan werden, um die Bewohner zu schützen. Statt einem Bettgitter kann es ein geteiltes Bettgitter nur am Kopf- oder Fußende geben, das nicht das Gefühl des Eingesperrtseins vermittelt. Hüftprotektoren mildern Stürze ebenso wie Sturzpolster oder Matratzen vor den Betten. Und Bewegungsmelder können für Helligkeit sorgen. Da nicht mehr abgeschlossen werden darf, kann ein Regal Bewohner zurückhalten ohne sie einzusperren. „Es muss immer genau abgewogen werden, was für den Betroffenen richtig ist. Manche empfinden die empfohlenen Niedrigbetten als freiheitsentziehend, da sie nicht die Füße aufstellen können.“ Als Vorbild dient Stefan Baumann der „Werdenfelser Weg“, der für einen Bewusstseinswandel in der Pflegekultur gesorgt hat. Unlängst wurde dieser Weg bei einer Fortbildungsveranstaltung der Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen der Stadt Ulm und des Landratsamt Alb-Donau-Kreis vorgestellt. Stefan Baumann durfte aus der Praxis berichten, denn er ist sich sicher: „Es ist der richtige Weg.“ (ela)